Die Wissenschaft geniesst nach wie vor hohes Ansehen. Dabei ist ihr Betrieb verludert. Das sage nicht ich, sondern der Physiker Eduard Käser in der NZZ vom vergangenen Wochenende, wenn auch in anderen Worten.

Die Lehrmeinung des freien Marktes, dass staatliche Eingriffe den Wettbewerb verzerren, lässt sich leicht auf den Wissenschaftsbetrieb ummünzen. Nämlich so: Der Wettbewerb verzerrt die Wissenschaft. Die Flut an Veröffentlichungen wurde schon im 19. Jahrhundert beklagt. Nun jedoch geraten neue Befunde scheibchenweise an die Öffentlichkeit, so Käser. Das liegt daran, dass jemand die Publikationen zählt, wenn ein bestimmter Wissenschaftler bevorzugt werden soll. Je mehr, desto besser. Qualität muss eben messbar sein. Ein Positivismus, bei dem sich die Wissenschaft in den Schwanz beisst. Hier wäre zu ergänzen, dass professorale Kollegen gerne einander zitieren. Der Inhalt lässt sich schon so geradebiegen, dass ein Zitat naheliegt. Schliesslich gibt es diesen Bullshit-Job, wo ein Unterhund des Wissenschaftsbetriebs ebenfalls abzuzählen hat, wie oft jemand in anderen Publikationen zitiert wird. Dabei geht es auch um das Verteilen von Geldern.

Alles streckt sich nach Exzellenz.

Die Universitäten durchlaufen Zuchtprogramme, die bei den Besten mit einer hochdotierten Auszeichnung enden, dem so genannten Exzellenzcluster. Begrifflich eine krude Mischung aus Feudalismus und Kybernetik. Derart prämiert lagern sich ganze Forschungsgruppen aus postmodernen Reformuniversitäten aus und ziehen sich in verwaiste Bischofsitze und neobarocke Schlösser zurück.

Wie überall in der Berufswelt sind auch im Wissenschaftsbetrieb die formalen Ansprüche in eine kaum bezähmbare Bürokratie ausgeufert. Ein Philosoph wie Ludwig Wittgenstein hätte so nie bestehen können. Seine bahnbrechende logisch-philosophische Abhandlung wurde von Cambridge als Dissertation anerkannt, obwohl keine einzige Fussnote gesetzt war. Man hat das Potential erkannt, vielleicht war es nur ein Bauchgefühl, das unmöglich in einem Wust von Antragsformularen mit Gutachten und Gegengutachten zu belegen gewesen wäre. Man bedenke, Wittgenstein übte massgeblichen Einfluss auf den logischen Empirismus aus und damit auf die heutige amerikanische Philosophie. Sein Spätwerk gilt zudem als tonangebend in der so genannten Postmoderne zwischen 1950 und 2000. Nicht zu vergessen: Die Relativitätstheorie wurde ausserhalb des universitären Betriebes erarbeitet. Auch Einstein dürfte sich im heutigen Wissenschaftsbetrieb besonders für die Fluchtwege interessieren. Schlimmer noch, auch er würde heute wohl gar nicht erst zugelassen.

Weiter vermerkt Käser eine unsägliche Twitterei, wo man Teilresultate dramatisiert, um sie interessant zu machen. Diese Luderei gipfelt insgesamt in geschönten Statistiken. Eine schlichte Betrügerei. Vielleicht sollte man sich an die Geisteswissenschaft erinnern, die gerne belächelt wird. Dort lässt sich nämlich nichts fälschen. Niemand frisiert Prämissen oder unterschlägt Schlüsselbegriffe einer Nomenklatur. So etwas geht einfach nicht. Darin besteht ein Vorzug der Geisteswissenschaft, auf den diese Luderei erst aufmerksam macht.

Auf jeden Fall leidet das Ansehen der Wissenschaft beträchtlich, es erodiert regelrecht bei brisanten Themen wie dem Klimawandel.

Wie sollte sie unter diesen Bedingungen für Tatsachen bürgen, wenn sie dazu neigt, ihre Befunde zu tranchieren, zu schönen und zu dramatisieren.