Einsamkeit ist widernatürlich für Menschen. Es sei denn, man wählt sie nach Jahren voller Verstrickung mit anderen.
Meine Überlegungen beginnen mit einem Bild: Ein Park mit einer Buche, im Regen, dahinter eine Reklame, die einfarbig leuchtet. Sie lässt den Baum überdeutlich hervortreten, seine dunkle Rinde, mit zittriger Linie, Narben und Rissen. Der Gegensatz begeistert mich.
Eine glatte Leere betont die Unregelmässigkeit natürlichen Wuchses.
Dann ein weiteres Bild, das mir in den Sinn kommt: Das menschliche Ich als Tiefe mit Geheimnis. Ein verborgener Kern, zu dem man vordringen muss. Das ist ein romantisches Bild, das uns eher ratlos zurücklässt. Mich überzeugt ein anderes Bild, nämlich das Ich als Haut.
Als Rinde.
Eine verletzbare, aber auch zähe Membran, die porös bleibt zur Welt oder sich ihr verschliesst. Sie vernarbt, sie platzt auf, blättert ab. Es kommt zu Verhärtungen, zu Einsenkungen.
Ein Bild regt zu weiterem Denken an. Wenn man jedoch dabeibleibt, wird seine metaphorische Kraft überanstrengt: Kernholz, Bast, Borke, Wundholz, Harze und so fort. Wenn ich davon rede, dass Menschen verholzen, geniesse ich die bildhafte Kraft. Sie dient jedoch nur als Einstieg. Bei Menschen sind immer Überlegungen im Spiel. Mir fällt auf, dass Personen, die einsam leben, ohne es je gewollt zu haben, Einladungen zu Feierlichkeiten, zu gemeinsamer Gemütlichkeit ablehnen oder verstreichen lassen. Auch das lässt ratlos zurück. Solche Unternehmungen täten ihr doch gut, meinen wir enttäuscht, die wir täglich im engen Austausch mit anderen stehen. Dabei ist es mit Händen zu greifen, was vor sich geht. Die Person enthält sich wohl kaum dem familiären Umgang mit anderen. Der Wunsch danach lässt sich ihr nach wie vor unterstellen.
Vielmehr vermeidet sie die Rückkehr in die Einsamkeit.
Denn die ist meistens unvermeidlich. Oder sie zeichnet sich nach wiederholten Versuchen, mit anderen zu leben, irgendwann als unvermeidlich ab. So gesehen sorgt die Person vor.
Sie befolgt ein intimes Kalkül, das sie für sich behält.
Je öfter jemand in Einsamkeit zurückfällt, ohne es je gewollt zu haben, desto eher prägen Kalküle dieser Art sein Leben, mithin seine Persönlichkeit.
Ein Mensch verholzt in diesem Sinne, bildhaft gemeint. Enttäuschung häuft sich auf Enttäuschung, Vorsorge folgt auf Vorsorge, und die Porösität des Ich verschliesst sich zunehmend, verstopft sich willentlich zum Schutz vor weiterem Leiden.
Die Person verkriecht sicht unter Wundholz, ihr Ich hüllt sich in vernarbter, verschorfter Rinde.
Zäh und notdürftig verharzt.
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